Damhirsch

Gehegtes Wild


aHEU unterwegs beim Stammtisch der Landwirtschaftlichen Wildtierhalter //

Ein schöner, kalter Frühlingssonntag. Was gibt es da zu tun? Ein Ausflug in die Oberpfalz. Dort treffen sich die Landwirtschaftlichen Wildtierhalter zum Stammtisch. Das sind Landwirte, die Wild in Gehegen halten. Mein Wild-Wissen ist in etwa hasengroß; ich bin gespannt, was ich alles lernen werde.

Zunächst treffen wir uns im Gasthaus. Nach einführenden Worten der Vorsitzenden, einigen zur landwirtschaftspolitischen Lage und zu regionaler Vermarktung (mein Part), spazieren alle zu einem nahegelegenen Wildgehege. Dort erwartet uns das Rotwild mit Neugier.

Rothirschkühe mit Teich in großem Gehege
Rotwild

Die Tiere nähern sich uns ruhig; ein Beweis, daß sie gut behandelt werden. Eine erfahrene Hirschkuh kommt ziemlich nah auf uns zu und beobachtet uns. Der Platzhirsch – ja, so wird der männliche vierbeinige Chef wirklich genannt – bleibt im Hintergrund. Zu ihm solle man respektvolle Distanz wahren, erklärt der menschliche Chef. Das habe er durch eine brenzlige Situation gelernt, in der er dem Hirsch allein gegenüberstand. Wie auch bei Stieren, denke ich mir, denen es auch jederzeit den Schalter umlegen kann und man plötzlich nicht mehr ihr bester Freund ist. Wobei das bei vielen Tieren (und Menschen?!) so ist: Die Mutterkuh auf der Weide, die ihr Kalb und sich gegenüber Hunden unbedarfter Halter verteidigt; der Jagdhund, der befehlsverweigernd der verführerischen Fährte folgt; das sonst buddha-artige Therapiepony, das wegen einer Fliege ausschlägt. Lebendiges ist nie ganz berechenbar – und ein Rothirsch ist ein Gegenüber, bei dem ich im Zweifel nur zweite Siegerin bin (;

Wir streifen durch die Gehege, die ‚wilden‘ Landwirte fachsimpeln untereinander, geben sich Tips und zollen Anerkennung. Wir begutachten die aus einfachen Mitteln geschaffene Infrastruktur des Geheges. Mein Lieblingsstück ist eines dieser Upcycling-Objekte: eine ehemalige Leitplanke wurde zum Futterbaren umfuktioniert. Robust, wetterbeständig, langlebig. Was will man mehr.

Leitplanke und Metallspule umfunktioniert zu einem Futterbaren
Futterbaren

Mir fällt auf, wie eigenartig ruhig vor allem der Kopf des Rotwilds auch in schnellerem Lauf bleibt – schaut dieses Video dazu. Dies erinnert mich ein wenig an Hennen in diesem Werbespot (ab 0:10 bis 0:50), die auch so einen ‚Stabilisator‘ eingebaut zu haben scheinen.

Das Damwild kommt mir im Vergleich zum Rotwild putzig und handlich vor: Kleiner, getupft wie Bambi, kindliche Köpfe. Dekorativ! Kein Wunder, daß es ursprünglich aus Asien für die Parks der Fürstenhäuser nach Europa geholt wurde. Heutzutage ist die kleinere Größe des Damwilds je nach Absatzweg des Wildfleischs ein Vorteil: Bringt ein Hirsch als Schlachtkörper circa 50 kg auf die Waage, wiegt der eines Damwilds circa 25 kg und ist damit auch etwas für Kunden mit kleinerem Bedarf.

Damhirsch
Damhirsch

Ständig begegnen mir in den Gesprächen der Wildhalter neue Worte wie zum Beispiel:

  • Hochwild = Rotwild, Steinadler, Auerhahn. Der Name kommt daher, daß früher nur die HOHEN Leute, also der Adel diese Tiere bejagen durfte (zumindest offiziell (; ).
  • Niederwild = Reh, Kaninchen, … – halt alles andere.
  • Spießer = Junger Hirsch
  • Stangen = Geweih-Ansatz
  • In der Decke = erlegtes Tier noch mit Fell

Ja Wild hängt nunmal mit Jagd zusammen, und die Jäger haben für Vieles ihr eigenes Vokabular… Jägerlatein ist aber nochmal etwas anderes… (;

Landwirtschaftliche Wildhalter
Wildhalter

Nach dem Gruppenphoto laufen wir zurück zum Wirtshaus und essen dort zu Mittag. Alle unterhalten sich, die Wildhalter sind ganz in ihrem Element, sind auf eine bodenständige Art begeistert von ihrem Wild. Gesichter und Geschichten zeigen, daß sie sich an ihren Tieren erfreuen, sich gerne um sie kümmern und auch ihr gutes Fleisch genießen. Nein, Fürsorge und Genuß seien kein Widerspruch, sagen sie mir: Die Beziehung zwischen Nutztieren und Menschen ist eine andere als die zu Haustieren. Landwirte haben ständig mit Leben und mit Tod zu tun; sie sehen beides kommen und gehen, sie entscheiden mal zwischen den beiden und mal sind sie machtlos. Diese Themen bleiben in den meisten anderen Bereichen unserer Gesellschaft außen vor.

Wild wird in der Regel kurz und schmerzlos vom Tier zu Fleisch, indem es in seinem gewohnten Umfeld geschossen wird; und Gehege sind eine extensive Landnutzung. Beides entspricht eigentlich unserem modernen Anspruch der natürlichen und artgerechten Erzeugung von Lebensmitteln, siehe die Diskussion um Weidegang, Weideschuß und mobile Schlachtboxen. Auch sind die meisten Wildhalter Jäger, haben eine ausführliche Ausbildung durchlaufen und werden in Bayern von drei Ministerien kontrolliert: Die Tierhaltung durch das Landwirtschaftsministerium, Hygiene und Gesundheit durch das Umweltministerium, der Waffengebrauch durch das Innenministerium. Doch trotz hoher Qualität und Zeitgeistigkeit des Produkts sowie qualifizierten Personen, ist die bayerische Wildhaltung in der Regel mehr Liebhaberei als Erwerbszweig. Das meiste des hier verkauften Wildfleischs wird importiert – bis aus Neuseeland! Facepalm.

Nach dem geschmackvollen Mittagessen löst sich die Gruppe langsam auf. Ich habe als einzige Wild gegessen – für mich etwas Besonderes, die anderen habe das eigene zuhause. Viel gelernt habe ich an diesem sonnigen Frühjahrsmorgen und nehme mir auf dem Heimweg vor, zukünftig nach der Herkunft zu fragen, wenn ich Wild auf einer Speisekarte oder in einem Laden sehe. Was meint Ihr?


P.S. Wo es bayerisches Wildfleisch gibt, erfahrt Ihr hier.

Heike, 17. April 2019

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