Hof mit Menschen

Schritt um Schritt?


aHEU.BLOG unterwegs beim Symposium 2019 von Die Gemeinschaft //

Ich reiste nach Berlin und von da aus hinein ins Brandenburgische nach Angermünde. Auf Sarah Wieners Gut Kerkow trafen sich am 9.9.2019 circa 250 Menschen zu „Das Symposium 2019“ , um „neue Gedanken zu säen für eine neue Eßkultur“. Eingeladen hatte „Die Gemeinschaft“ , ein Verein Berliner Spitzengastronomen, sie beliefernder Erzeuger und Foodaktivisten. Diesmal zeichne ich hier nicht die Veranstaltung nach, sondern versuche, Gedanken und Gefühle, die mich seit Jahren zu den Themen umtreiben und beim Symposium aufgerührt wurden, in 4+3 Punkten auszudrücken.
Bald wird es hier auch noch einen extra Beitrag zu „Essen ist politisch“ geben.

Begrüßungsvortrag „Farmers cultivating restaurant relationships“

Vision und Erfahrung

Zugespitzt gesagt trafen sich in den Workshops, Pausen und beim Dinner einerseits Menschen mit Visionen und andererseits Menschen mit Erfahrung. Im Falle der ‚Visionäre‘ hatte ich oft den Eindruck, sie sind wunderbar euphorisch und beseelt, wissen aber wenig über die Praxis von Landwirtschaft, Direktvermarktung, Handel, Gastronomie, Verarbeiter und Verbraucher sowie darüber, wie diese Glieder der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten. Demzufolge wurden Szenarien entwickelt, die es entweder schon lange gibt (zum Beispiel Erzeugergemeinschaften) oder die die ‚Erfahrenen‘ bereits erprobt und verworfen hatten (zum Beispiel „der Verbraucher muß zum Umdenken gebracht werden“). Irgendwie scheint komplett freies Denken oft zum Neuerfinden des Rades beziehungsweise zu gleichförmigen Lösungen zu führen, die dann ‚top down‘ oder ‚city out‘ in temporär geförderte Projekte fließen. Hingegen erfordern praktisch erlebte Einschränkungen neue, nachhaltige Wege – „Not macht erfinderisch“.

Workshop „Lokale Plattformökonomien revolutionieren die Direktvermarktung und ländliche Entwicklung“

Digitalisierung und Skalierbarkeit

Als Hoffnungsträger tauchte immer wieder die Digitalisierung auf. Auch in der Direktvermarktung soll Arbeit von Einzelfällen entlastet und Abläufe vereinfacht werden, wie zum Beispiel Warenbestellungen per Online-Portal. Smarte Technik, so die Hoffnung, laufe einmal eingerichtet dann von selbst. Doch meiner Erfahrung nach ist beispielsweise das Erstellen von Profilen und Produktbeschreibungen eine Hürde für Erzeuger, auch digitale Systeme bedürfen beständiger Pflege und Direktvermarktung funktioniert vor allem da, wo sich jemand persönlich einsetzt.
Und zum Stichwort Skalierbarkeit, für mich ein Unwort der letzten Jahre: Solch quasi automatisches Wachstum widerspricht eben völlig dem Alltag in der Regionalvermarktung und zudem bedeutet Regionalität ja gerade Kleinteiligkeit, Individualität, Dezentralität, … Insgesamt wird kapitalistische Wachstumslogik zwar kritisiert, soll aber die Arbeit erleichtern. Übrigens: Seitdem ich diese Widersprüche verstanden hatte, tue ich mir mit dem aufwendigen ‚Klein-klein‘ viel leichter.

Drei Maststiere
Gleich neben dem Veranstaltungszelt ein Offenstall mit Stieren in der Endmast (v.l.n.r.: Deutsches Niederungsrind Alter Schlag, Uckermärker (ganz junge Rinderrasse!), Angus)

Neugierig und offen

Das führt mich zum nächsten Punkt: Ich finde es richtig super, wenn so viele Menschen sich für Essen und seine Herstellung interessieren und sich dafür einsetzen. Aber warum beschäftigen sie sich mit dem Bestehenden und seinen Gründen nicht neugierig und offen? Neugierig, weil es mir so vorkommt, als ob generell erstmal mißtraut und das Bestehende für schlecht erklärt wird ohne es genau angeschaut, durchdacht, selbst probiert zu haben; Kritik ist mir heilig, aber ebenso die Kenntnis des Kritisierten. Offen, weil es viel zu entdecken und lernen gibt. Beispiel: Ein etablierter Sommelier erzählte mir, er hätte beim Dinner des Symposiums den Tisch gewechselt, weil er unter anderem neben einem Landwirt saß, „der Kartoffeln an McDonalds liefert“. Hätte das nicht der Auftakt zu einem interessanten Gespräch werden können?

Überall Begegnungen diverser Spezies (;

Respekt und Dreck

Mir fällt auf, daß viele eine „Wertschätzung für Lebensmittel“ fordern, die sie aber bloß bestimmten Lebensmitteln zugestehen. Es gibt Aussagen wie „der Dreck beim Discounter“. Aber dieser „Dreck“ wurde auch von jemandem und seinem Land, seinen Tieren, seinen Pflanzen, seiner Arbeit hergestellt, veredelt, transportiert, verpackt, eingeräumt, kassiert, … Dieser „Dreck“ ist die Realität auf dem Tisch von vielen – solchen, die sich nichts anderes leisten können und solchen, die sich aus anderen Gründen dafür entscheiden. Dieser „Dreck“ läßt Menschen in Deutschland ziemlich gesund sein und lange leben. Dieser „Dreck“ weicht insbesondere bei Grundnahrungsmitteln meines Wissens nach qualitativ oft nicht stark von höherpreisigeren, handwerklicheren Produkten ab. „Schlechtes Essen“ ist dieser „Dreck“ erstmal nicht – so sehr mir das auch zupaß käme als jemand, die jeden Tag für kleine und mittlere Lebensmittelbetriebe arbeitet. Was macht „gutes Essen“ aus? Der Geschmack, die Zutaten, die Art der Herstellung, die Hersteller, die Ökobilanz, die Verpackung, …?

Wichtig

Mit dem allen will ich nicht sagen, daß es nicht viele Beispiele kleiner Strukturen gibt, die prima funktionieren! Ganz im Gegenteil: Wenn es die nicht gäbe und wenn ich nicht an sie glauben und mich für sie einsetzen würde, hätte ich meinen Beruf verfehlt. Und ich will auch nicht sagen, daß es nicht jederzeit eine neue Idee oder eine neu umgesetzte alte Idee geben kann, die bisherige Probleme löst! Ich plädiere nur dafür, aufmerksam zu beobachten, respektvoll zu sein und selbst tätig zu werden.

Wunsch

Das inhaltliche Ende der Veranstaltung bildete ein Podium, auf dem der weitbekannte Hofhuhn-Blogger Ingmar Jaschok sagte, er baue darauf, daß die allermeisten Menschen aus guten Absichten heraus handelten. Und daß es ihm vor allem um Wertschätzung gehe. (Video bei 10/10)
Ich stimme ihm zu. Mein Wunsch ist, daß sich ‚Lebensmittelmenschen‘ aus ganz unterschiedlichen Ecken einander zuwenden und austauschen. Daß Konsumenten Bezug zur Herkunft ihres Essens haben, falls sie sich dafür interessieren. Daß es möglichst vielfältige Erzeuger mit möglichst vielfältigen Produkten gibt. Mein Wunsch nach Menschlichkeit ist auch ein Grund dieses Blogs.

Zuletzt

Vielleicht sind die ‚visionären‘ und die ‚erfahrenen‘ Teilnehmenden des Symposiums gar keine zwei Gruppen. Vielleicht waren und sind alle Visionäre, manche haben eben schon konkret Hand angelegt und sind deshalb erfahrener. Es ist eine Kunst, vielbegangene Pfade zu verlassen, eigene Wege zu beschreiten und trotzdem mal alten Füchsen zuzuhören. Mir geht das selber auch immer wieder so: Zwar bin ich seit Jahren in der Vermarktung regionaler Lebensmittel tätig, möchte aber auch nicht engstirnig werden à la „Ichweißschonwasgehtundwasnicht“. Vielleicht geht es darum, daß alle den Weg zwischen Vision und Erfahrung immer wieder hin und hergehen und auf diese Weise etwas erreichen. Immer handfest, immer vor Ort, mehr Schritt-für-Schritt als „Disruption“ (die Schwester der „Skalierung“… (; ).
Das Symposium brachte Menschen zusammen, die Essen lieben und die sein Hintergrund nicht kaltläßt. Es bescherte sicher nicht nur mir sehr aufschlußreiche Begegnungen, es löste sicher nicht nur in mir Nachdenken aus. Ein Schritt weiter.  

Hof mit Menschen

Heike, 11. September 2019

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