Grund & Boden: „Ethik für die Landwirtschaft“
aHEU.BLOG veröffentlicht exklusiv einen Ausschnitt aus Dr. Christian Dürnbergers neuem Buch //
Was haben die Philosophie und die Landwirtschaft gemeinsam? Sie beschäftigen sich beide maßgeblich mit dem, was unsere Basis ist – dem Grund und Boden unseres Denkens sowie unseres Essens.
Der Autor Dr. Christian Dürnberger wollte ein Buch schreiben, das gesellschaftliche Debatten über Landwirtschaft beleuchtet, ethisch-philosophisch-rhetorische Werkzeuge an die Hand gibt und letztlich Landwirten und anderen Interessierten dabei hilft, in die Diskussionen bedacht und mit klareren Argumenten einzusteigen. Das Buch hat so viele Kapitel wie das Jahr Monate; eine neue Art Bauernkalender. Ich finde es richtig und wichtig, sich mit dem eigenen Tun auseinanderzusetzen und damit auch einen Blick, eine Offenheit und ein Gespür für andere zu bekommen.
Inhaltsverzeichnis
- Der Streit um die Landwirtschaft. Was hat sich geändert?
- Die Erwartungen der Gesellschaft an die Landwirtschaft
- Was bedeutet Ethik?
- Schutz von Umwelt und Klima – warum eigentlich?
- Eine kurze Einführung in die Tierethik
- Kontroversen verstehen. Die Debatte um die Grüne Gentechnik
- Besser argumentieren?
- Die Sehnsucht nach dem landwirtschaftlichen Idyll
- Landwirtschaft 4.0. Ein ethisches Diskussionsmodell
- Warum essen wir, was wir essen?
- Mehr Kommunikation – aber wie?
- Blick in die Zukunft
Selbsttest und weiterführende Reflexionsfragen
Hier schreibe ich keine Rezension, da ich das Buch für sich selbst sprechen lassen darf. Ich habe das elfte Kapitel herausgesucht, dessen Inhalte mir am häufigsten begegnen – es geht um die Frage der Kommunikation. Dürnberger stellt dort 10 Thesen für eine bessere Agrarkommunikation vor. Die zweite wird im folgenden Text diskutiert.
Auszug aus Kapitel 11: „Mehr Kommunikation – aber wie?“
These 2: Die Bedeutung von Vertrauen
Die Konsumentinnen und Konsumenten haben von der konkreten landwirtschaftlichen Arbeit meist wenig Ahnung. Nicht nur, weil sie wenig Wissen und wenig Bezug aufweisen, sondern auch, weil die diesbezüglichen Fragen durchaus komplex sind. Wer keine oder wenig Ahnung hat, der muss… vertrauen. Dies ist ein Kennzeichen einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft. Ständig kommen wir in Situationen, in denen wir darauf vertrauen müssen, dass andere ihren Job verstehen und ihn nach bestem Wissen und Gewissen ausüben. Ist dieses Vertrauen brüchig oder schlägt es gar in Misstrauen um, kann Kommunikation kaum noch funktionieren. Slovic wurde bereits an anderer Stelle dieses Buches zitiert:
„Wenn dem verantwortlichen Akteur vertraut wird, ist die Kommunikation relativ einfach. Wenn dieses Vertrauen fehlt, werden keine Form und kein Prozess der Kommunikation zufriedenstellend verlaufen.“
Slovic 1993, 677; Übersetzung Chr. D.
Wann aber vertrauen Menschen einem verantwortlichen Akteur? Diese Frage ist kaum beantwortbar, und dennoch soll hier thesenhaft der Versuch einer Antwort unternommen werden.
(1) Voraussetzung ist, dass die Verbraucherin, der Verbraucher Vertrauen in die Expertise des Akteurs hat.
D.h. ich muss als Laie den Eindruck gewinnen, dass der Akteur sein Aufgabenfeld fachlich wirklich versteht. Das allein allerdings genügt nicht, um Vertrauen zu generieren, denn…
(2) Es braucht einen Wertekonsens zwischen Verbraucher und Akteur.
Ist dieser nicht vorhanden, wird der Verbraucher nicht einmal überlegen, ob er dem Akteur vertrauen will. Wertekonsens bedeutet: Ich muss davon ausgehen können, dass dem Akteur dieselben Werte wie mir wichtig sind. Für die Kommunikation bedeutet dies, dass diese Werte auch explizit zum Thema gemacht werden müssen. Wenn man über Landwirtschaft kommunizieren will, gilt es demnach nicht nur Zahlen, Daten und Fakten zu vermitteln (dies ist etwas für Fachtagungen und den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen), sondern auch die eigenen Wertvorstellungen: Menschen wollen nicht nur wissen, was jemand macht – sondern auch warum. Was sind die Werte und Ziele, an denen sich jemand orientiert?
(3) Es braucht wahrhafte Kommunikation: Das, was der Akteur sagt, muss stimmen.
Hier zeigt sich ein Grundproblem des Vertrauens: Es baut sich langsam auf, aber verschwindet von einer Sekunde auf die andere, wenn man einer Lüge überführt wird.
(4) Gerade da sich Vertrauen langsam aufbaut, braucht es eine Langfristigkeit der Bemühungen.
Exemplarisch: Wenn Sie zwei Akteure vor sich haben, und der eine betreibt seit gestern aktiv Umweltschutz, der andere aber kann zeigen, dass ihm dieses Ziel seit über dreißig Jahren ein persönliches Anliegen ist, ist wenig überraschend, wem Sie mehr Vertrauen entgegenbringen (wenn Ihnen selbst dieses Ziel auch wichtig ist, siehe „Wertekonsens“.)
(5) Probleme dürfen nicht kaschiert werden, im Gegenteil: Nichts erhöht die Glaubwürdigkeit mehr, als wenn jemand über die eigenen Schwierigkeiten spricht.
Gerade hier hat die Landwirtschaft in den Kommunikationsbemühungen der vergangenen Jahrzehnte, so meine persönliche Überzeugung, manchen schwerwiegenden Fehler begangen. Probleme wurden totgeschwiegen oder als „Einzelfall“ abgetan. Ratsamer wäre es gewesen, selbst auf die systemischen Probleme der Landwirtschaft hinzuweisen – bevor es andere tun. Das bedeutet auch: Probleme sollten nicht verteidigt werden. Ich halte es zum Beispiel für grundfalsch, wenn Landwirtinnen sich mit Kolleginnen solidarisieren, die das Tierschutzgesetz regelmäßig brechen. Gesetzesbrüche sind klar als solche zu benennen. Die Landwirtschaft ist in diesen Fragen keine „Schicksalsgemeinschaft“.
Die Probleme selbst anzusprechen bedeutet, aktiv zu werden – statt immer nur zu reagieren. Wer reagiert, ist kommunikationstechnisch bereits in der Defensive. Damit verstärkt sich der Eindruck, der gegenwärtig ohnehin vorherrscht: Als würden die Forderungen nach „mehr Tierwohl“ oder „Klimaschutz“ stets nur „von außen“ an die Landwirtschaft herangetragen werden; als würden die Landwirte und Landwirtinnen selbst keinerlei Interesse an diesen Werten haben. Dabei wäre gerade das Gegenteil wünschenswert: Dass Landwirtinnen und Landwirte selbst die Debatte voranbringen und als Innovatoren von „Tierwohl“ und „Klimaschutz“ wahrgenommen werden, als jene Berufsgruppe, die nicht nur die unmittelbare Verantwortung und Expertise in diesen Fragen hat, sondern auch Ideen generiert und die ganze, oftmals so behäbige Debatte voranbringt. (Hierbei würde sich eventuell „Überraschendes“ zeigen, nämlich, dass Landwirte und bestimmte NGOs mitunter durchaus gemeinsame Ziele haben und sich nicht als unversöhnliche Gegner gegenüberstehen müssen.)
(6) Die Landwirtin sollte sich mit ihrem Produkt identifizieren.
Beispielhaft: Es erhöht nicht gerade das Vertrauen, wenn ein Bauer nicht die Produkte isst, an deren Herstellung er selbst mitwirkt. Im besten Fall kann eine Bäuerin, ein Bauer sogar Auskunft über diese Produkte geben und erklären, was sie so besonders macht.
(7) Schließlich entsteht Vertrauen nur dort, wo kommuniziert wird.
Der Begriff „Dialog“ muss hier jedoch ernst genommen werden, denn er bedeutet eben nicht ein bloßes „Ich erkläre einer dummen Gesellschaft, was in der Landwirtschaft Sache ist“, sondern eine Begegnung auf Augenhöhe. Dies ist freilich ein Balanceakt, denn: Die Landwirtin ist Expertin, der Konsument eben nicht. Entsprechend muss man nicht auf jedes Störfeuer von außen reagieren – gerade dann nicht, wenn man das, was man tut, mit bestem Wissen und Gewissen erledigt. Zugleich aber darf man sich gesellschaftlichen Erwartungen und einem echten Dialog nicht verschließen. Berufsfelder wandeln sich – und sie tun dies im Austausch mit der Gesellschaft.
Ausschließlich hier ist das Buch erhältlich:
Warum exklusiv über Amazon? Dürnberger beantwortet das wie folgt: „Ich weiß, dass Amazon vielfach kritisiert wird – und ich teile diese Kritik durchaus. Mit Blick auf Autoren jedoch bietet der ‚Book on Demand‘-Service von Amazon ein interessantes Paket. Um dies zu konkretisieren: Bei einem normalen Verlag werde ich als Autor eines Lehrbuchs aufgefordert, einen Druckkostenzuschuss von mehreren tausend Euro zu bezahlen, damit das Buch überhaupt gedruckt wird.“ Publikumsverlage wollen nur Bücher für eine ausreichend große Zielgruppe – Landwirtinnen und Landwirte sind dafür zu wenig. Nicht jedoch Dürnberger. Zum Glück.
Als Christian mir die Kapitel seines neuesten Buches zusendete, war es noch nicht mal erhältlich. Das war im Mai. Leider ist die Zeit für den Blog sehr knapp, deswegen sage ich: Lieber spät als nie!
Wer mit Christian Kontakt aufnehmen möchte, der schreibe an christian.duernberger@vetmeduni.ac.at
Werbung für Christian Dürnberger
Heike, 8. Oktober 2020